Projekte
Justizvollzugsanstalt Aichach
Anti-Aggressivitätstraining mit weiblichen Jugendlichen Gefangenen.
Von 2007 bis jetzt
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Bericht aus dem Taekwondo aktuell:
Taekwondo im Frauengefängnis
Mitte der neunziger Jahre, genauer gesagt im Jahr 1995, gelang es Gisela Bartmann, der damaligen Vorsitzenden der Verbandsjugendleitung des BLSV, den Sportbetrieb in der Justizvollzugsanstalt Aichach zu fördern. In enger Zusammenarbeit mit der Bayerischen Taekwondo Union (BTU) wurde jugendlichen Insassinnen die Möglichkeit gegeben, an Taekwondo-Kursen teilzunehmen.
Für die Durchführung der Kurse konnte Reiner Hofer, der damalige Schulbeauftragte und heutige Präsident der BTU, gewonnen werden. Auf Grund der enormen Nachfrage wurden von ihm zehn Jahre lang alle durchgeführten Kurse übernommen.
Für Reiner Hofer ging es aber nicht nur darum, den weiblichen Gefangenen die Grundzüge der fernöstlichen Kampfkunst Taekwondo zu vermitteln. „Von Anfang an war es das Ziel, dass den ausgesuchten Jugendlichen durch das Taekwondotraining auch Werte vermittelt werden, wie beispielsweise Rücksicht, Fairness, Toleranz, Selbstdisziplin und Hilfsbereitschaft.“
Das Projekt „Taekwondo im Strafvollzug“ stieß beim bayerischen Justizministerium auf ein großes Interesse. Dort gab man sogar eine wissenschaftliche Studie in Auftrag, um sich ein konkretes Bild über die Auswirkungen des Trainings auf die weiblichen Jugendlichen zu machen. Das Ergebnis übertraf alle Erwartungen. Es stellte sich nämlich heraus, dass bei allen Teilnehmerinnen – die ihre Haftstrafen zum Teil wegen Gewaltdelikten verbüßten - ein deutlicher Aggressionsabbau stattfand, der sich auf die Resozialisierung positiv auswirkte.
Bei der Suche nach einem geeigneten Nachfolger für das Training im Strafvollzug fiel die Wahl von Reiner Hofer schnell auf Michael Bußmann. „Michael besitzt alle Lizenzen, die man für diese Aufgabe besitzen muss, und hat sein Können als hervorragender Trainer beim Polizeisportverein Eichstätt bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Außerdem war er schon damals als Beamter in einer Justizvollzugsanstalt beschäftigt und war deshalb mit den Verhältnissen innerhalb des Strafvoll-zugs bestens vertraut.“
Für Michael Bußmann war das Training ein Sprung ins kalte Wasser. Lange besprach er die Nachfolge mit Reiner Hofer. „Aus den Gesprächen wusste ich, dass von mir kein Training erwartet wurde, wie es in den Vereinen gemacht wird. Da mich diese nicht alltägliche Aufgabe aber reizte, habe ich zugesagt.“
Der von der JVA Aichach angebotene Kurs ist ein Antiaggressionstraining, an dem maximal 15 ausgesuchte weibliche Jugendliche teilnehmen dürfen. Das Training besteht aus insgesamt 10 Doppelstunden, also zwei Trainingseinheiten pro Woche. „Das Training halten nicht alle Jugendlichen durch, es springen immer einige ab. Ungefähr acht bis zehn bleiben bis zum Schluss.“
Wer am Training teilnehmen will, muss sich dafür bewerben. Von allen Bewerbern sucht die Psychologin dann die 15 Teilnehmerinnen aus. „In der Regel handelt es sich dabei um Jugendlichen mit einem großen Gewaltpotential, die bereits gegen Bedienstete oder Mitgefangene gewalttätig geworden sind.“
Von Michael Bußmann wurden in das Training neue Elemente eingebaut. „Ich mache mit den Jugendlichen auch Partnerübungen und vor allem auch Rollenspiele.“ Sowohl bei den Übungen mit einem Partner als auch bei den Rollenspielen ist für alle Teilnehmer ein großes Maß an Fairness erforderlich. „Für einige Teilnehmerinnen sind das ungewohnte Situationen.“
Ein zentrales Thema ist bei jedem Training, wie man eine Situation ohne Gewalt lösen kann. „In jeder Stunde machen wir einen Sitzkreis und reden über Gewalt. Bei diesen Gesprächen zeigt sich immer wieder, dass die Mädchen sehr gewaltbereit sind und viele ihrer Probleme mit Gewalt lösen wollen. Wir machen dann Rollenspiele, bei denen es darum geht, dass sich alle Probleme ohne Gewalt bereinigen lassen.“
Bei einem Rollenspiel bilden beispielsweise alle Mädchen einen Kreis. Eine der Jugendlichen muss jetzt versuchen, in den Kreis zu kommen – was von den anderen verhindert wird. Erst wenn sie höflich die Frage stellt „Darf ich bitte in den Kreis?“, öffnet sich für sie der Kreis – und zwar gewaltfrei.
Eine Zeit lang standen die Bediensteten dem Training recht skeptisch gegenüber. „Am Anfang gab es die natürlich unbegründeten Befürchtungen, dass den Jugendlichen im Training brutale Schlagtechniken beigebracht werden.“ Diese Ängste haben sich aber schnell als unbegründet herausgestellt.
In den ersten Übungsstunden wird mehr Wert auf die Techniken gelegt. Dabei werden viele Handtechniken mit den unterschiedlichsten Kombinationen auf die Handpratze gelernt, was den Jugendlichen die volle Konzentration abverlangt. Die Fußtechniken beschränken sich auf den Aufwärtskick und den Seitkick, wobei beide Techniken nur bis zur Hüfthöhe trainiert werden. „In den zehn Doppelstunden ist einfach nicht mehr möglich.“
Die die meisten Teilnehmerinnen eine ziemlich üble Vergangenheit hinter sich haben, kann es immer wieder passieren, dass eines der Mädchen ohne ersichtlichen Grund austickt. So brach beispielsweise eine Jugendliche, die eine Handpratze hielt, plötzlich in Tränen aus. Im Gespräch erklärte sie dann, dass sie die Schläge ihrer Partnerin auf die Handpratze sehr stark daran erinnerte, wie sie daheim geschlagen wurde.
Sowohl die Rollenspiele als auch solche Situationen aus dem Training werden zwischen Michael Bußmann und der Psychologin der JVA Aichach ausführlich besprochen. „Bei diesen Gespräch können wird dann viele Reaktionen der Mädchen und das für die nächste Trainingsstunde geplante Rollenspiel durchsprechen.“
Dass das Training mit den Jugendlichen absolut sinnvoll ist, erfährt Michael Bußmann immer wieder bei den Gesprächen mit der Psychologin. „Ich selbst bekomme das zwar nicht so intensiv mit, aber mir wurde immer wieder versichert, dass viele der Mädchen ruhiger und ausgeglichener werden.“ Allerdings räumt er auch ein, dass es Mädchen gibt, bei denen einfach nichts greift.
Text: Peter Bolz